Wer den Terminkalender von Wirtschaftsministerin Brigitte Zypries verfolgt, merkt schnell, welche hohe Priorität das Thema Digitalisierung für sie hat. Als Expertin für Zukunftstechnologien auf politischer Ebene dürfte ihr aber auch klar sein, dass sich gerade in den Behörden noch einiges verändern muss, um die Digitale Transformation unserer Gesellschaft voranzutreiben. Was sich im Wirtschaftsministerium in den letzten Jahren getan hat und wie sie persönlich die Digitale Zukunft sieht, beschreibt Zypries im Interview.

Die Digitale Transformation unserer Gesellschaft ist für Sie kein neues Thema. Sie waren seit 2013 bereits als Staatssekretärin für IT, Luft- und Raumfahrt zuständig. Was hat sich in den letzten 4 Jahren in diesem Bereich im Wirtschafts-Ministerium getan?
Wir haben eine Menge geschafft. Beim Thema Industrie 4.0, einem erfolgversprechenden Zukunftsthema, sind wir heute schon ein Leitanbieter für die notwendige Technologie. Die Plattform Industrie 4.0 ist mit über 300 Akteuren heute eines der weltweit größten und erfolgreichsten Netzwerke, um die digitale Transformation produzierender Unternehmen zu unterstützen und das Thema auch international voranzutreiben. Die Bedingungen für Start-ups und Gründerinnen und Gründer haben wir erheblich verbessert und mit dem WLan-Gesetz die Störerhaftung rechtssicher abgeschafft. Um auch unseren Mittelstand bei der notwendigen Digitalisierung mitzunehmen, wurden deutschlandweit 4.0-Kompetenzzentren errichtet. Sie unterstützen v.a. kleine und mittelständische Unternehmen bei der Einführung oder Erprobung von digitalen Anwendungen und elektronischen Business-Lösungen. Dieses Netz werden wir weiter ausbauen. Wir brauchen dringend schnelleres Internet, an Gigabitnetzen führt kein Weg vorbei. Und wir brauchen mehr Investitionen in die digitale Ausstattung von Schulen und Berufsschulen. Damit unsere Regeln und Werte der analogen Welt auch in der digitalen Welt durchgesetzt werden können, haben wir ein Regelsystem entwickelt und auf EU-Ebene eingebracht, das ‚Weißbuch Digitale Plattformen‘. Im Bereich Luft- und Raumfahrt habe ich gemeinsam mit der Branche eine strategische Innovationsagenda „Digitale Luft- und Raumfahrt“ aufgelegt. Hierzu gehört, dass wir digitale Innovation zu einem Kernthema unserer Forschungsprogramme für die Luft- und Raumfahrt machen – zum Beispiel mit Technologien für modulare Satelliten oder für die virtuellen Flugzeugentwicklung.
Wie schätzen Sie die digitalen Fähigkeiten der Politiker und Mitarbeiter, der gesamten Policy-Ebene in Deutschland, ein? Wo gibt es noch etwas zu tun?
Unterschiedlich ausgeprägt und ausbaufähig, würde ich sagen. Aber ich sehe übergreifend ein wachsendes Verständnis für die Bedeutung der Digitalisierung und ihre Folgen für all unsere Lebens- und damit Politikbereiche. Die Bundesregierung muss geeignete Rahmenbedingungen dafür schaffen, dass die Digitalisierung in Deutschland gelingen kann. Letztlich kommt es aber entscheidend auf die Ideen, Konzepte und Begeisterung der Unternehmen, von Startup bis DAX-Konzern, der Wissenschaft, auch der Schulen – ja aller Bürgerinnen und Bürger an, damit die Digitalisierung in Deutschland eine Erfolgsgeschichte wird.
In den USA führen SpaceX und die Nasa gerade eindrucksvoll vor, wie excellent die Zusammenarbeit staatlicher Institutionen und privater Unternehmen im Bereich Zukunftstechnologien funktionieren kann. In Deutschland hat man das Gefühl, die Politik schmückt sich besonders im Wahlkampf-Jahr zwar gerne mit Startups, aber bei der Umsetzung z.B. von Infrastruktur-Projekten mischen vor allem die etablierten Konzerne mit. Welche Mittel stehen Ihnen zur Verfügung, um unbürokratische Kooperationen zu stärken und so Innovationen zu fördern?
Wir bringen im Wirtschaftsministerium regelmäßig etablierte Unternehmen mit Startups in unseren Startup-Nights zusammen. Denn wir wissen: dieses Matching ist sehr wichtig. So gab es bereits mehrere Veranstaltungen zur Luft- und Raumfahrt, zu Social Entrepreneuren, zur Energiewirtschaft oder zur Gesundheitswirtschaft. Unsere Initiative für digitale Hubs bringt Wissenschaft, Unternehmen und Start-ups zusammen, um so ein Ökosystem für Innovation und Gründungen zu schaffen. Außerdem haben wir einen leichteren Zugang für Startups geschaffen, beim Vergaberecht z.B. muss der Auftraggeber größere Aufträge in Lose aufteilen. Das kommt gerade auch kleineren Unternehmen und Startups zugute. Viel entscheidender ist aus meiner Sicht aber, dass sich Startups und etablierte Unternehmen ergänzen. Gemeinsam können Startups und Unternehmen oft Innovationen voranbringen, mit denen sich etablierte Unternehmen allein schwer tun.
Wir haben uns am Weltfrauen-Tag auf einem Gründerinnen-Event der TU Berlin getroffen, wo mehrfach beklagt wurde, die Fördermöglichkeiten für technische Forschungs- und Gründungsprojekte seien teilweise sehr eingeschränkt und es gäbe häufig Probleme bei der Anschluss-Finanzierung nach dem ersten Jahr. Das war vor einem Monat. Wer hat sich dem Problem in Ihrem Haus angenommen und wann ist mit ersten Verbesserungen zu rechnen?
Es stehen umfangreiche Finanzierungsmöglichkeiten zur Verfügung. Neben der Förderung durch das EXIST-Programm gibt es Programme für Existenzgründer sowie für kleine und mittlere Unternehmen. Auch die Bundesländer und die Europäische Union helfen mit finanziellen Mitteln beim Start in die unternehmerische Selbständigkeit. Diese Förderprogramme haben wir erheblich aufgestockt, insgesamt 2 Milliarden Euro frische Mittel stehen zur Verfügung. Wir haben dabei nicht nur die Anfangsphase im Blick. Mit gezielten Programmen unterstützen wir Startups auch in der Wachstumsphase. Dafür stehen über 700 Millionen Euro bereit.
Viele Startups haben den Aus- und Weiterbildungs-Markt für sich entdeckt und möchten so digitale Fähigkeiten in die Unternehmen bringen. Wie unterstützt der Bund die Weiterbildung derjenigen, die noch 20-30 Jahre arbeiten möchten, aber heute schon den Anschluss verloren haben – besonders mit Blick auf die Medien- und Datenkompetenz, auch im Bereich Daten-Analyse?
In der Arbeitswelt 4.0 ist Qualifizierung und betriebliche Weiterbildung ein lebenslanger Prozess. Die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft wird entscheidend von der digitalen Weiterbildung der bestehenden Belegschaft abhängen. Startups können hier wichtige Impulse auf dem Weiterbildungsmarkt geben. Das von uns geförderte Kompetenzzentrum Fachkräftesicherung soll unterstützen und baut für KMU die Informations- und Beratungsangebote mit Blick auf die Digitalisierung und neuen Weiterbildungsformen für die Beschäftigten aus. E-Learning und Lernplattformen sind hier das Stichwort. Zudem bereiten wir derzeit die Erprobung einer digitalen Basisqualifizierung für Fachkräfte der unteren und mittleren Unternehmensebene sowie für Geringqualifizierte vor.
Wenn Sie auf Ihre politische Erfahrung zurückblicken und die zahlreichen Herausforderungen betrachten, die uns bevorstehen: Wie stellen Sie sich unsere wirtschaftliche Zukunft vor? Muss es früher oder später ein Basis-Einkommen geben? Werden wir als Standort Deutschland und mit „Made in Germany“ weiterhin in der globalen Top-Liga mitspielen können?
Die Digitalisierung wird zu Verschiebungen zwischen den Branchen führen. Es ist sehr wahrscheinlich, dass ein Großteil heutiger Schüler in zwanzig Jahren in Berufen arbeiten wird, die es heute noch gar nicht gibt. Experten gehen davon aus, dass durch die Digitalisierung auch mittelfristig kaum Arbeitsplätze verloren gehen werden. Und die, die verloren gehen, werden ungefähr im gleichen Umfang durch neue Arbeitsplätze ersetzt. Obwohl die Digitalisierung voranschreitet, hat sich die Zahl der Erwerbstätigen im vergangenen Jahr auf insgesamt 43,5 Mio. erhöht. Die Arbeit wird uns auf absehbare Zeit nicht ausgehen. Was wir allerdings erleben werden, ist ein nie dagewesener Wandel in der Arbeitswelt. Den müssen Politik, Sozialpartner und Wissenschaft gemeinsam mit der Wirtschaft gestalten. Die Politik muss flankierende Regelungen zum Arbeitnehmerschutz stärken, um den digitalen Wandel fair zu gestalten. Wichtig ist, dass wir bei diesem Prozess alle mitnehmen. Dazu brauchen wir digitale Bildung von der Schule bis zur betrieblichen Weiterbildung.
Die Antwort auf Ihre Frage hängt ganz von uns ab. Wenn wir es schaffen unseren technologischen Vorsprung in traditionellen Wirtschaftsbereich mit digitalem Know-how zu verbinden und weiterzuentwickeln, dann haben wir gute Chancen auch 2050 zu den erfolgreichsten Volkswirtschaften der Welt zu gehören. Deutschland muss Innovationsführer sein, denn auf der Kostenseite können wir den internationalen Wettbewerb nicht gewinnen.
Welche Zukunftstechnologien begeistern Sie persönlich besonders und wie halten Sie Ihre eigenen digitalen Fähigkeiten up to date?
Beim 3D-Druck für Flugzeugteile ist Deutschland beispielsweise vorne mit dabei. Airbus fliegt schon heute serienmäßig mit Teilen aus dem 3D-Drucker. Richtig spannend wird es, wenn man diese Technologie mit bionischen Designprinzipien verbindet. Indem man Teile von vornherein nach dem Vorbild der Natur entwirft, kann man teilweise fast 50% an Gewicht sparen. Und das Gewicht ist in der Luftfahrt bekanntlich der entscheidende Faktor für Effizienz und geringere Treibstoffkosten. Das zeigt, wie viel Potenzial in der Digitalisierung und Innovation steckt. Es ist nicht einfach, mit der digitalen Entwicklung mitzuhalten. Mein Rezept: Neugier! Ich habe viele spannende Begegnungen mit digitalen Startups und innovativen Unternehmen und lerne täglich dazu.
Frau Zypries, vielen Dank für die interessanten Antworten!
Autorin dieses Beitrags: Carolin Desirée Töpfer, Gründerin & CEO/ CTO Cyttraction
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